Thomas Lui Ludwig: Sticks 09/98

1998 Thomas Lui Ludwig

Mitte der 80er Jahre hat Thomas “Lui” Ludwig sein autodidaktisches Schlagzeugstudium in der Musikwerkstatt der Feuerwache Mannheim begonnen, kurz danach stieg er in eine Ami-Clubband ein und wurde wenig später Mitglied bei “The Stealers”, der späteren Jule Neigel Band. Der Band von Deutschlands bester Rock-Sängerin blieb er bis heute – wenngleich inzwischen nicht mehr Band-Mitglied – treu. Soeben ist “Alles”, die neueste CD von Jule, erschienen, und im Herbst geht Lui mit Jule’s exzellenter Band wieder auf ausgedehnte Deutschland-Tour. Wer sich vorab ein Bild des Mannheimers mit den Händen groß wie Klodeckel machen will, der möge sich die folgenden Szenen veranschaulichen.

Szene 1: Die Jule Neigel Band im Nightliner-Bus auf dem Weg zu einem Open Air-Gig in Österreich. Kurz nach Abfahrt des Busses beginnt Lui mit seiner One-Man-Show: er geht nach vorne zum Fahrer, schnappt sich das Bord-Mikrofon und beginnt mit einer umwerfend komischen Serie von Stimmen-lmitationen. Von Kohl über Lindenberg bis zur Transvestiten-Tucke kommen alle dran und werden genial durch den Kakao gezogen. Die Krönung von Luis Performance ist dann sein “Wellensalat”, bei dem er die Sounds nachahmt, die man bekommt, wenn man langsam die Kurzwellen-Skala eines Radios absucht: da ist von Sprachfetzen in japanisch und Kisuaheli bis hin zu kurzen Opernfalsetts alles dabei, immer unterbrochen von kurzen oder längeren “krchrchrchrchrch”-Passagen. Die restliche Band hat mittlerweile Bauchschmerzen vor Lachen. Einfach eine tolle Comedy-Show!

Szene 2: Die Jazz Pistols, Luis jazzrockiges Bodenpersonal, kommen wegen eines Staus auf der Autobahn viel zu spät zu einem Gig. Lui watschelt auf Krücken in die Halle, in Windeseile ist die Anlage aufgebaut, der Soundcheck fällt flach, Lui parkt seine Stelzen hinter dem Drumkit, setzt sich hin und zählt die erste Nummer an. Es folgt ein fulminantes Konzert mit schwierigsten Jazz-, Rock-, Fusion- und Crossover-Passagen.

Szene 3: Der trommelnde Faxenmacher Lui bemüht sich nach Kräften, ein gesittetes und ernsthaftes Interview zu geben:

Lui, du bist ja viele Jahre lang festes Bandmitglied bei der Jule Neigel Band gewesen. Was war denn für dich seinerzeit der Grund, aus der Band auszusteigen, wenngleich du seither unverändert bei allen Plattenaufnahmen und Tourneen der Band an den Drums sitzt?

Bis 1992 war ich also festes Mitglied in der Jule Neigel Band, und da hat man natürlich dann immer auch eine Menge Verpflichtungen neben der reinen Trommelei Wir hatten ja damals die Gesellschaftsform einer GbR (Gesellschaft des bürgerlichen Rechts) gewählt, und das bedeutet in der Praxis ja nicht, daß man immer nur ein freundliches Gesicht für die nachste Fotosession zu machen hat. Ich hatte damals von der Arbeitsmenge her einen richtigen Acht-Stunden-Job, so daß das reine Getrommel schon fast zur Nebensache wurde. Als dann mein Sohn Max auf die Welt kam bin ich aus dieser GbR ausgestiegen, damit etwas mehr Zeit für meine Familie übrig blieb. Das war allerdings nicht der einzige Grund, denn als Mitglied einer solchen Firma unterliegt man auch noch anderen Zwängen wie beispielsweise einer Fernsehklausel oder anderen Exklusivitätsbindungen, eben immer verfügbar zu sein und andere Projekte hintenan zu stellen. Und da ich damals vorhatte, mich auch noch anderen Dingen neben der Jule Neigel Band zu widmen, ließ sich das nicht mehr miteinander vereinbaren. Das war für mich persönlich einfach zu beengend, und folglich habe ich mich von den Verpflichtungen dieser Band-Einbindung gelöst.

Fällt man dann nicht zuerst mal in ein emotionales oder kreatives Loch, wenn man aus einer solchen Band und dem damit verbundenen Familiengefüge ausscheidet?

Ja, das trifft in gewisser Weise schon zu. Weißt du, zuerst muß man natürlich die ganzen Sachen, die man schon lange im Bauch fühlt, entsprechend umsetzen. Man hat in so einem Moment ein total schlechtes Gefühl der Band gegenüber, aber ich spürte einfach, daß ich auch noch andere Dinge tun will und sich dies mit meinem GbR-Status nicht vertragen würde. Weil wir uns persönlich ja immer sehr gut verstanden haben und gute Freunde waren, bestand für mich dann natürlich das Problem, dieses geschaftliche Auseinandergehen nicht mit den persönlichen Beziehungen zu Jule und der Band kollidieren zu lassen. Gott sei Dank hat es bis heute gut funktioniert, und nur deswegen freue ich mich auch jedesmal auf Jules Anruf, wenn wieder eine neue Platte oder eine Tour in Planung ist. Das Verhältnis unter uns ist sogar besser geworden nach meiner damaligen Entscheidung, kein fester Bestandteil der Band mehr zu sein. Mir gingen dann auch erst mal eine Menge Gedanken um meine künftige musikalische Existenz im Kopf herum, aber dann machte ich die Erfahrung, daß sich solche Sachen völlig von alleine ergeben, sobald ich mich um nichts mehr kümmere und den Dingen einfach ihrem Lauf lasse. Da kamen dann die ersten Jobs, da kamen die Anfragen, Workshops zu machen, das lief auf einma! alles wie von selbst.

Was war denn deine erste Aktivität nach dem Ausstieg?

Es kam dann sofort das Angebot, auf lokaler Ebene in Frankenthal bei Ludwigshafen ein Drummer-lnstitut zu gründen, wo ich dann Unterricht geben sollte. Nach einem halben Jahr Vorbereitungszeit ging das dann 1993 auch los, und die ersten Studio-Jobs reihten sich dann nahtlos an. Um diese ganzen Jobs als Gastmusiker oder Studiomusiker habe ich mich nie selbst gekümmert, die Angebote flatterten mir einfach nacheinander ins Haus. Der einzige, bei dem ich mich wirklich mal persönlich vorgestellt und präsentiert habe, war der Edo Zanki, die übrigen Sachen passierten alle von alleine. Ich habe dann auf der CD von Chaka Khan getrommelt, habe bei Produktionen für Ute Berling im Studio 17 und für den früheren Smokie-Sänger Chris Norman im Session-Studio mitgewirkt, nebenbei wurde ich noch für diverse Produktionen im Winnie-Leyh-Tonstudio, in Ralph Zangs Due-Acchord-Studio, fur eine Produktion des Deutschen Tanzlehrerverbandes im Orion-Studio und für so eine Art Gospel-Projekt mit verschiedenen Sängern gebucht. Ab 1995 folgten dann Engagements für Marcus Kohl im Venice-Studio, fur Yah Yah, Uwe Janzen, A.S.M. & Friends sowie Uwe Ochsenknecht im Red-RoosterStudio in Tutzing, außerdem für Koschorrek und Götz von Sydow. Außerdem ich habe irgendwelche Aushilfen gespielt, beispielsweise in der Schweiz mit der Pepe Lienhard Band. Ich glaube, der Andreas Schmid-Martelle, der Gitarrist von Jule, ist durch meine ganzen Jobs dazu ermuntert worden, auch mal etwas Eigenes zu machen, und so entstand dann seine Bluesrock-Platte A.S.M & Friends. Es ist sogar vorgekommen, daß ich bei einigen Anfragen absagen mußte, weil ich zeitlich schon so ausgebucht war. Man darf ja auch nicht vergessen, daß dies alles neben der weiterhin sehr zeitaufwendigen Arbeit in der Jule Neigel Band passierte, denn wir tourten zu jener Zeit etwa zweimal pro Jahr, dazu kamen etliche Festivals und dann noch die Studioaufnahmen ihrer jeweils neuen CD.

Die Workshops sind doch bestimmt inzwischen ein fester Bestandteil deines Jahreskalenders, oder?

Diese Workshops haben über M&T angefangen, dann kamen Rock&Jazz in Celle hinzu, die Sommerakademie im ostdeutschen Riesa, des weiteren noch das Drummer-Meeting in Salzgitter, die Eröffnung von Drums Only im Saarland, die Musikmesse in Frankfurt, das Drummer’s Summer Camp im Schwarzwald und das Seminar der LAG in Remscheid. Beim Drummer’s Summer Camp habe ich dieses Jahr auch mit meiner eigenen Band, den Jazz Pistols, eine Clinic gespielt. Diese ganzen Sachen haben sich kontinuierlich im Laufe der Zeit aufgebaut.

Wie sieht es denn aus, wenn Jule Neigel dich für eine Tour oder für Fernsehtermine zu einer Zeit haben will, wo du schon anderweitige Pläne hast? Wo setzt du denn da die Präferenzen?

Solche Probleme hat es bis auf wenige Ausnahmen Gott sei Dank noch nicht so oft gegeben. Aber genau deshalb bin ich ja auch froh, daß ich nun nicht mehr fest zur Neigel-Band gehöre und damit z. B. dieser Fernsehklausel nicht mehr unterliege. Als Jule beispielsweise ihr Video zur Single “Sehnsucht” gedreht hat, war ich gerade mit Chris Norman im Studio. Weil ich diesen Studio-Job aber unbedingt machen und auf eine solche Erfahrung nicht verzichten wollte, hat sich mein Bruder dann für’s Video an die Drums gesetzt. Er ist auch Schlagzeuger und sieht mir ziemlich ähnlich, insofern war das nicht so tragisch. Ansonsten versuche ich natürlich immer, meine Termine mit den Jazz Pistols mit denen der Jule Neigel Band abzustimmen, weil ich es schon ziemlich schade fände, wenn sich da keine Losung finden ließe.

Wie ist denn zum Beispiel deine Mitwirkung in der Band von Uwe Ochsenknecht zustande gekommen?

Oh, das war eine sehr lange und komplizierte Geburt. Ich hatte ja vorher schon mit dem Mannheimer Produzenten Ralf Zang einen Titel mit Uwe eingespielt. So habe ich Uwe kennengelernt, wir beide haben uns auf Anhieb gut verstanden. Jedenfalls hat Uwe sich dann mit Ralf Zang verkracht, er ging nach München runter und machte seine Platten mit Curt Cress. Uwe und ich haben uns dann ein wenig aus den Augen verloren, bis mich dann 1995 der ehemalige Grönemeyer-Mitstreiter, der Gitarrist Gaggy Mrozek anrief. Wir haben dann bei Gaggy unten im Keller eine völlig chaotische Session mit Uwe gemacht, und wie das so ist, wenn zwei Mannheimer zusammen sind: man kann dann etwa zwei Tage lang nichts mehr reden, weil man sich total den Kehlkopf plattgequatscht hat. Das war einfach sensationell, und als es dann auf die Produktion von Uwes Album zuging, habe ich gesagt, da kommt eigentlich nur das Red-Rooster-Studio unten in Tutzing am Starnberger See in Frage, und dort haben wir dann mit Ronald Prent das Ochsenknecht-Album aufgenommen. Live haben wir dann leider nur ganz wenige Gigs spielen können, denn Uwe ist ja auch als Schauspieler ein totaler Workoholic und dreht ständig einen Film nach dem anderen; insofern mußte damals eine ganze Latte von Festivals wieder gecancelt werden. Wirklich schade, denn das hätte bestimmt einen mörderischen Spaß gemacht!

Fällt nicht auch die Geburtsstunde der Jazz Pistols in diese Zeit?

Ja, wir Drei hatten uns seinerzeit schon ein paarmal getroffen. Wir, das sind Stefan Ivan Schäfer an der Gitarre, Christoph Victor Kaiser am Bass und der kleine Lui am Schlagzeug. Musikalisch war das fur mich ein ganz wichtiger Schritt, denn es war für mich eine echte Offenbarung, daß ich diese Art von Musik spielen konnte, und zwar nicht durch Ablesen, sondern durch Zuhören und durch das gegenseitige Erleben. Mittlerweile ist sogar was ganz Lustiges bei mir passiert: Ich habe inzwischen eher Probleme damit, wenn mir jemand sagt, daß ich in einem Titel einen bestimmten Part über 16 oder 32 Takte lang so und so spielen soll – das kann das simpelste Stück sein, wenn dann der Refrain, der ja in sich schon vier oder acht Takte lang ist, am Ende des Tracks plötzlich gedoppelt oder verdreifacht werden soll, dann komme ich da plötzlich ins Schleudern und muß krampfhaft mitzählen. Und sowas passiert mir bei den Jazz Pistols nie, selbst wenn wir einen 15/16tel Groove spielen. Ich bin schon oft gefragt worden, wie ich mir so komplizierte Arrangements merken und das Zeug dann völlig fehlerfrei spielen kann, aber komischerweise fallt mir das überhaupt nicht schwer. In dieser Band geht es hauptsächlich ums Zuhören, und dadurch habe ich irre viel dazugelernt; wir achten nicht auf bestimmte Noten oder vorgegebene Strukturen, sondern wir spüren einfach, was gerade die beiden anderen machen, und gehen sofort darauf ein. Ich bemerke immer wieder das Vorurteil vieler Leute, die behaupten, eine solche Musik könne man unmöglich aus dem Bauch heraus spielen. Trotzdem sind wir eine richtige Band, die einmal in der Woche brav probt, ob da nun Gigs anstehen oder nicht. Es gibt ja viele Fusion-Gruppen, die treffen sich nur mal kurz vor einem Gig oder vor einer Tour, um sich mal schnell wieder ein paar Arrangements oder Strukturen ins Gedächtnis zu rufen, und sonst sehen die sich während des Jahres kaum. Hinzu kommt, daß wir mit den Jazz Pistols quasi in eine kleine Marktlücke hineingestoßen sind, denn es gibt nicht soviele Trios in diesem Genre. Außerdem haben wir ja bei unserer ersten CD alles selbst gemacht, haben unsere Privatknete zusammengekleistert und wirklich restlos alles selbst bezahlt. Wir haben es genauso gemacht, wie man es eigentlich nicht macht. Wir haben 1996 die Platte in totaler Eigenregie mit dem Blacky P. Schwarz ohne jedes Overdub und ohne Click-Tracks live aufgenommen und sind nur fur das Mastering in ein Studio gegangen. Die Leute haben immer nur gesagt: “Ach was, wie macht ihr das, wo nehmt ihr das auf, nicht im Studio?”, sie haben uns lange Zeit als Spinner angesehen und gewettet, daß das niemals hinhauen wird. Weißt du, eine große Plattenfirma ist eben keine Versicherung dafür, daß es nachher auch läuft und entsprechend abgeht. Wir waren und sind einfach supermotiviert, und nur deshalb hat das alles bei den Jazz Pistols letztendlich auch funktioniert. Wie sonst wäre es zu erklären, daß wir dieses Jahr wieder für das Drummer’s Summer Camp gebucht wurden?

Du erwähntest eben, daß euer Debüt-Album in völliger Eigenarbeit entstanden ist. Wie kam es denn dazu, daß es diese CD seit Beginn diesen Jahres in identischer Ausführung auf dem Lipstick-Label gibt?

Wir haben diese Platte in drei unterschiedlichen Aufnahme-Sessions eingespielt. Nach der ersten Session haben wir mal eine Cassette von den dabei entstandenen Stücken gezogen und sie an Alex Merck Music geschickt, weil wir dachten, daß dies vielleicht eine Firma ist, die mit unserer Musikrichtung etwas anfangen und sich mit den Jazz Pistols identifizieren kann. Das kam dann aber nicht so richtig gut an, weil die zu dieser Zeit gerade mit Matalex eine Band hatten, die eine artverwandte Musik macht, und der Alex Merck wollte sich da nicht mit einer zweiten Band selbst Konkurrenz machen. Als die Platte dann fertig war, haben wir ihm dann eine CD geschickt und eine zweite zum EFA-Vertrieb. Bei EFA ist dann jemand total auf die Musik abgefahren, und weil das auch der Vertrieb von Alex Merck ist, wurde Alex noch aus einer zweiten Richtung bekniet, diese Band doch unter Vertrag zu nehmen. Das hat Alex dann auch gemacht, zumal sich Matalex in der Zwischenzeit mehr in eine andere Richtung entwickelt hatten und dadurch für uns quasi der Platz freigeworden ist.

Wahrscheinlich seid ihr schon kräftig an der Arbeit für das Nachfolge-Album, oder?

Wir haben ja schon etliche unserer neuen Stücke auf den letzten zwanzig oder dreißig Gigs gespielt, insofern sind das schon richtig alte Bekannte für uns. Wir probieren dann während der Gigs schon mal die ein oder andere Variation, da spielt der Stefan dann mal eine andere Gitarre oder Christoph verändert einen Bass-Sound, und dann gibt es da natürlich noch die wöchentlichen Proben, wo wir dann auch noch an den Tracks herumfeilen. Wir nehmen auch jeden Gig auf Band auf, um dann während der Autofahrt zur nächsten Halle alles nochmal genau durchhören zu können, wir sind im Grunde unsere eigene Mucker-Polizei, wir checken nochmal alles nach und sparen dabei auch nicht mit Kritik Wenn du dann wieder im Studio stehst und mußt dich entscheiden, wie die Nummer aussehen soll, dann hat man schon ein ziemlich genaues Bild von dem Track im Kopf. Solch Sachen passieren bei uns am wenigsten durch Reden, sondern hauptsächlich und Zuhören

Es hat sich ja nicht nur dein musikalischer Wirkungskreis, sondern auch deine Art zu trommeln sehr verändert. Wenn man dich bei den Jazz Pistols sieht, hat das ja kaum noch was mit dem Drummer zu tun, den man von der Jule Neigel Band her gewohnt ist.

Ja, das stimmt. Ich habe natürlich auch schon zu Neigel-Zeiten immer eine Menge anderer Sachen geubt, aber ich konnte diese Dinge bei Jule nie einsetzen. Viele meiner Bekannten haben mich gefragt, warum ich denn solche Sachen übe, obwohl ich sie für die Band gar nicht brauche. Bei den sogenannten Hollywood-Schlüssen einiger Stücke von Jule habe ich förmlich immer kriegsähnliche Zustände erlebt, ohne daß ich eigentlich weiß, was ein Krieg ist. Ich habe da immer gedacht, jetzt darfst du mal kurz.aus dem Gefängnis ausbrechen, kurz raus, dann ist Jule in die Luft gesprungen, und dann war das Stuck aus. Ich finde diesen Begriff “Hollywood-Schluß” auch völlig bekloppt, weil er mit Hollywood ja überhaupt nichts zu tun hat – den Hollywood ist ja alles andere als spontan. Bei 15 bis 20 Nummern hatten wir mindestens sieben oder acht Titel mit solchen Schlüssen. Seitdem ich mit den Jazz Pistols spiele, habe ich dieses Gefühl der kurzen befreienden Ausbrüche in dieser Form nicht mehr, denn hier habe ich jetzt ein Umfeld, in dem ich all meine anderen Spielwünsche rauslassen und ausleben kann. Hier kann ich endlich auch mal weggehen vom 4/4tel-Takt und hin zu diesen Odd-Meters oder Exotic-Meters, zum 9/8tel oder zu anderen Taktzählzeiten. Diese exotischen Rhythmen fangen ja schon beim 3/4tel an, und ich habe Gott weiß wie oft zu den Jungs gesagt, laß uns hier mal einen Ton rauslassen oder dort einen Takt verlängern. So sind dann Stücke wie “Bad 15” entstanden, da wollte ich mir die Sache auch nicht einfach machen, sondern interessant gestalten. Auf diese Art wird jedes Stück von uns total ausgekocht, bis man dann überzeugt ist, daß es schlußendlich die richtige Form hat. Seitdem ich die Möglichkeit habe, solche Sachen in dieser Band zu spielen, bin ich viel relaxter, wenn ich dann bei der Jule Neigel Band oder anderen Produktionen wieder in ein relativ enges Korsett gequetscht werde. Früher hatte ich immer das Gefühl, vom Zwang des Üben-Müssens ständig verfolgt zu werden, das ging bis in die Privatsphäre hinein. Und heute nehme ich mir meine Zeit für die Familie, da gibt’s dann gute Laune und Party ohne Ende, ohne daß ich unterschwellig immer diesen Zwang zum Üben verspüre und ständig auf meinem Pad rumtrommle. Diesen paranoiden Wahn, ständig üben zu müssen, habe ich Gott sei Dank verloren, und ich bin viel ausgeglichener seitdem. Ich gehe gerne zu einem Popkonzert, ich spiele gerne in der Jule Neigel Band, wo es oft heißt: “Lui, spiel doch mal weniger!”, und ich spiele auch gerne auf einem kleinen Drumset – das macht mir alles nichts mehr aus.

Fühlt man sich in einer Band dann letztendlich nicht unterfordert, wenn man all die vielen schönen Riffs und Rudiments dort nicht in die Musik integrieren kann?

Nein, eigentlich nicht. Gewisse Sachen hat man einfach als Handwerk drauf, da muß man sich nicht ständig unter Druck setzen, jetzt alles zeigen und spielen zu müssen, was man beherrscht. Ich habe auch keine Probleme mehr damit, wenn bei einem Neigel-Konzert irgendwelche hochkarätigen Musiker nebendranstehen und mir zusehen, seitdem ich meinen musikalischen Ziehvater Billy Cobham getroffen habe. Billy hat mich als Drummer über den Plattenteller ja förmlich erzogen, und seitdem der auf einem Konzert war und ich anschließend mit ihm mexikanisch essen war, bin ich nicht mehr nervös oder aufgeregt. Im Gegenteil: Ich freue mich nach einer langen Autofahrt immer total drauf, endlich auf die Bühne zu gehen und zu trommeln.

Meiner Meinung nach hat sich dein Spiel auch nochmal verändert, nachdem du bei der Produktion zu Jules "Herzlich wilikommen"-CD Simon Phillips kennengelernt hast, der ja dort auf drei Stücken getrommelt hat.

Natürlich ist das nicht spurlos an mir vorübergegangen. Du hattest mir ja schon vor vielen Jahren die “801 Live”-Platte von Phil Manzanera oder Simons Einspielungen mit Jeff Beck auf Cassette aufgenommen, insofern kannte ich ihn schon relativ früh. Viele Leute haben ihn ja erst durch das Who-Video, seine “Protocol” – oder durch die “Symbiosis”-Platte für sich entdeckt. Dabei sind die alten Sachen von Simon viel geiler, die kennen viele Leute nur leider nicht, dabei hat Simon damals so teuflisch gut gespielt, das ist einfach unfaßbar! Wenn ich gefragt werde, was ich von irgendwelchen Fusion-Drummern halte, kann ich immer nur antworten, daß man sich mal “Space Boogie” mit Simon anhören sollte, damit man mal erkennt, wie so was richtig gespiel werden muß . Ich gebe gerne zu, daß Simon Phillips und Billy Cobham meine wirkliche Education waren, meine musikalische Ausbildung. Simons Tom-Sound und sein Snaredrum-Sound waren für mich schon immer das Maß aller Dinge, und es ist kein Wunder, wenn man den Einfluß dieser beiden Kollegen bei mir hin und wieder durchhört. Ich habe ja nie Unterricht gehabt und mir alles autodidaktisch beigebracht. Meine Lehrmeister waren dabei der Plattenspieler und der Cassetten-Recorder. Ich habe bis heute so gut wie kein einziges Drum-Video gesehen und vermisse die Dinger auch nicht. Stattdessen sehe ich mir lieber ein gutes Live-Konzert an.

Wie hat sich denn deine Mitwirkung auf den Platten der Jule Neigel Band im Laufe der Zeit verändert? Bei ihrem Debut "Schatten an der Wand" waren die Drums ja noch weitestgehend programmiert, bei ihrem aktuellen Album "Alles" ist dies ja nicht mehr so.

Im Laufe der Jahre sind die programmierten Drum-Spuren immer weiter reduziert worden, und inzwischen bekomme ich seitens der Neigel-Band keinerlei Ansagen mehr, was und wie ich zu spielen habe. Man überläßt mir die Entscheidung, welcher Groove zu einer Nummer am ehesten paßt. Auch die Loops spiele ich am liebsten selbst ein, denn ich bin kein Kopier-Fan und mag es überhaupt nicht, wenn man sich bestimmte Sachen von einer Drum-CD herunterzieht. Da bin ich ziemlich stur und mache das lieber selbst – das ist gar nicht so schwer, wenn man einmal begriffen hat, wie man das Drumset dafür zu stimmen hat und wie man mit den Mikrofonen umgeht. Außerdem hat Jule ja immer den Ronald Prent als Tonkutscher im Studio, und er und ich sind schon ein gut eingespieltes Team.

Dein Drumkit ist ja mit dir in den vergangenen fünfzehn Jahren auch "erwachsen" geworden, inzwischen beansprucht dein Equipment ja fast doppelt soviel Platz wie zur Zeit von "Schatten an der Wand"...

…stimmt, mein Drumset ist analog zu meinem Haarausfall im Laufe der Jahre größer geworden. Ich habe unten im Haus einen riesigen Raum, in welchem meine fünf Schlagzeug-Sets aufgebaut sind und in dem sich mein Snaredrum-Lager befindet. Ich habe mich dann dort mal sechs Stunden eingeschlossen und mir einen für mich völlig neuen Aufbau meines Pearl MMX-Sets ausgedacht. Ich wollte einfach nicht, daß das Set fur die Jazz Pistols aussieht wie von der Stange, wie das Durchschnitts-Drumkit bei jeder x-beliebigen Band. Den Mittelpunkt rechts oberhalb der 24″x18” Bassdrum bildet jetzt das 12″x8″ Tom, links davon folgen das 13″x9″ und das 14″x12″ Tom, danach die 13″ HiHat und dann ganz links außen das 10″x10″ Tom. Vom 12″-Tom im Uhrzeigersinn nach rechts folgen dann das 15″x12″, das 16″x14″ Tom und ganz rechts außen mein selbstkonzipiertes 16″x16″ Gong-Tom mit dem Resonanzloch. Das Resonanzloch habe ich deswegen reingemacht, damit das Tom relativ kurz klingt und nicht so lange nachwummert. Diese ganzen Toms hängen auf einem DR-500-Rack, und in der Mitte oberhalb der 15″- und 16″-Toms befindet sich noch eine 10″x4″ Sopranino-Snaredrum und rechts daneben die 10″ Mini Fusion HiHat. Die normale Snare ist eine 14″x6,5″ MMX oder eine Custom Classic One Piece Maple Snaredrum. Meine Sabian-Cymbals sind von links nach rechts folgende: 15″ HH Thin Crash, 19″ HH Medium Thin Crash Ride, 17″ HH Thin Crash, 10″ HH Kang China, 21″ HH Raw Bell Dry Ride oder 22″ HH Power Bell Ride, 16″ HH Thin Crash und ganz rechts außen ein 14″ oder ein 22″ HH Chinese Cymbal. Ach so, meine Sticks sind von Vic Firth und bei den Trommelfellen nehme ich Remo Ambassador. In letzter Zeit sprachen ja fast alle Leute nur noch von ihren “Jungle-Sets”. Da dachte ich, ich kann doch jetzt nicht ständig mit zwei Sets unterwegs sein, nur um solche Jungle-Grooves spielen zu können. Deswegen habe ich mir diesen neuen Set-Aufbau ausgedacht, denn da habe ich diese kleine Sopranino-Snare und das Gong- Tom in die übrige Anordnung integriert. Diese Mini-HiHat und die kleine Snaredrum kann ich sehr gut bedienen, wenn ich mich so etwa auf die 15-Uhr-Position nach rechts drehe. Ich hatte früher mal eine andere Variante ausprobiert, indem ich die zweite Snaredrum nach ganz iinks außen und die zweite Hi-Hat nach ganz rechts außen anordnete, aber das ging nicht, da hatte ich immer das Gefühl, meine Schulterblätter knallen mir auf dem Rücken zusammen! Mein Set ist für mich ein wenig zusammengerückt und nicht mehr so rechtslastig wie früher, weil ich jetzt das kleine 12″-Tom direkt neben dem Ride-Cymbal und das größere 14″-Tom auf der linken Seite habe. So kann ich jetzt auch das große Ride-Cymbal spielen, ohne daß ich es so hoch hängen muß.

Mir ist aufgefallen, daß du ab und zu die Crash-Cymbals abwechselnd von oben oder unten anschlägst...

…ja, das mache ich gerne, außerdem sieht das ganz witzig aus – man muß allerdings den Stock dafür ziemlich fest in der Hand halten. ~ Ich drehe dafür meine Hand um, sodaß der Handrücken unten ist und ich problemlos nach oben schlagen kann. Tja, was ist sonst noch wichtig? Ach ja, mein Stuhl ist in der Achse eingefettet, der dreht sich ganz locker, und das ist für mein Spielgefühl sehr wichtig. Die Schlegel an meinem Pearl Doppel-Bassdrum-Pedal sind nicht mehr so tief drin wie früher, die habe ich jetzt ziemlich weit heraus positioniert.

Was hat sich denn auf dem Sektor der Electronic Drums bei dir getan? Die hast du doch früher immer gerne eingesetzt.

Auf jeden Fall! Ich war einer der ersten, der einen Drum-Computer benutzt und ihn auch live eingesetzt haben. Fruher habe ich viel auf dem beschissenen Atari programmiert, der mir mitten in dem Steinberg-Programm standig abgestürzt ist. Den Computer habe ich dann irgendwann verkauft, nur meinen Sampler und den Sequencer habe ich behalten. Zu meinem jetzigen Drumset gehört noch das Roland SPD-11 sowie ein Fußschalter, mit dem ich Playbacks oder den Sequencer steuern kann. Allerdings: Je mehr dieses Zeug aus ist, desto besser geht’s mir – das ist fast genauso wie mit den Handys. Ich habe mich einfach wieder mehr in Richtung analoges akustisches Schlagzeug hinentwickelt, weg von den ganzen Triggern und dem ganzen anderen Mist, ich habe bei Jule immer sofort rote Backen und Zahnweh bekommen, wenn piotzlich der Sampler ausgefallen ist. Da bin ich dann echt ausgerastet, mir ging es richtig schlecht wegen solcher Geschichten. Das Drumset selbst bereitete mir nie Probleme, aber dieser Scheiß-Kasten hat mich echt Nerven gekostet. Du schiebst eine Diskette rein und liest: ERROR! Panik! Der Axel Schwarz, Jules Keyboarder, der hat ja ganze Kühlschränke voll mit solchem Käse, das wäre für mich so eine Belastung, weil ich immer Angst hätte, daß mir die Disketten abkacken und mir das Musikmachen deswegen weitaus weniger Spaß machen würde. Obwohl: Ich will mich diesbezüglich nicht auf alle Zeiten festlegen, vielleicht habe ich ja nächste Woche schon wieder Lust, mehr in diesem elektronischen Bereich zu experimentieren.

INTERVIEW: BRUNO KASSEL

September 1998 – STICKS

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